„Wir gehen heute sehr gezielt auf jeden Patienten ein.“

Professor Dr. Ralf Sodian was sich innerhalb der letzten 25 Jahre bei den medizinischen und chirurgischen Verfahren verändert hat.

25 Jahre sind eine lange Zeit in der Herzmedizin. Was hat sich bei den medizinischen und chirurgischen Verfahren verändert? Professor Dr. Ralf Sodian, Chefarzt der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie, berichtet.

Herr Sodian, wie hat sich die Herzmedizin und -chirurgie in den letzten 25 Jahren verändert?

Zunächst einmal ist die kardiologische Diagnostik viel präziser geworden, durch CT, MRT, 3D, Herzecho und auch molekulare Untersuchungen bei Zellerkrankungen. Dann sind heute alle Materialien, die wir verwenden, lang erprobt und insgesamt viel besser geworden. Aber die wichtigste Veränderung ist, dass wir Patienten heute deutlich schonender und individueller behandeln können als früher.

Was meinen Sie damit?

Früher gab es in der Herzchirurgie ein regelrechtes Schwarz-Weiß- Denken. Zum Beispiel bekamen Patienten nur dann eine biologische Herzklappe eingesetzt, wenn sie älter waren als 65 Jahre. Bei jüngeren Patienten verwendete man standardmäßig mechanische Klappen – weil diese länger halten und man eine zweite Operation vermeiden wollte. Aber das ist eben nicht für jeden Patienten das Richtige.

Wovon machen Sie solche Entscheidungen heute abhängig?

Ganz klar, von der Lebenssituation und dem Lebensstil des Patienten. Da gab es zum Beispiel einen Mann, Mitte 40, Dachdecker, der in seiner Freizeit gern Mountainbike fuhr.

Eine mechanische Herzklappe hätte ihn sehr eingeschränkt, denn er hätte blutverdünnende Medikamente nehmen und vielleicht seinen Beruf und sein Hobby aufgeben müssen. Also haben wir mit ihm zusammen entschieden, dass er eine biologische Klappe aus Rinderperikard bekommt. Und zwar die neueste und haltbarste, die es gibt. Eventuell wird man ihn mit 60 Jahren nochmal operieren oder eine künstliche Kathederklappe implantieren. Auf jeden Fall sprechen wir mit jedem Patienten mehrere Optionen durch und versuchen, die optimale Lösung zu finden.


Sie sagten, die Behandlungen sei heute schonender als früher. Meinen Sie damit, dass heute öfter minimalinvasive Eingriffe vorgenommen werden?

Ja, es ist eine große Tendenz, dass alles kleiner wird. Wir führen heute fast 50 Prozent der Aortenklappenoperationen mit einem Katheter durch. Aortenklappen können wir chirurgisch ersetzen – per Katheter. Mitralklappen können wir reparieren, statt eine Prothese zu verwenden – per Katheter. Auch bei koronaren Herzerkrankungen haben wir viele Kathetermöglichkeiten. Aneurysmen können entweder per Stent versorgt oder im Bereich der Aortenaszendenz heute auch schon minimalinvasiv ersetzt werden. Früher hätte man den Brustkorb dafür ganz aufmachen müssen. Heute geht das fast alles nur mit einem kleinen Schnitt.

Was ist der Vorteil für die Patienten? Dass sie nach einer OP schneller mobil sind?

Das auch, aber der größte Vorteil ist ein psychologischer. Die meisten Patienten haben Angst vor dem Trauma eines großen Eingriffs. Und es gibt Patienten, die kann man nicht mehr operieren. Das gilt besonders für die künstliche Aorten oder Mitralklappe.

Welche OP führen Sie am häufigsten durch?

Das ist immer noch die Bypass-Operation, auch wenn diese durch die vielen Kathetermöglichkeiten deutlich zurückgegangen ist. Aber auch hier gibt es Unterschiede zu früher. Man verwendet viele arterielle Gefäße, weil sie die längste Aufenthaltsrate haben, also lange haltbar sind. Wenn es irgendwie möglich ist, schonen wir die Patienten, indem wir am schlagenden Herzen operieren.

Das Herzzentrum Lahr gilt als eine der besten Kliniken Deutschlands. Was macht es so besonders, bezogen auf die medizinisch-technische Weiterentwicklung?

Ich würde sagen, dass wir mit allem, was wir tun, auf Höhe der Zeit sind. Es gibt keine bessere Klappe, keinen kleineren Schnitt, kein ausgefuchsteres Kunstherz als das, was wir verwenden. Wir machen das, was maximal möglich ist. Dabei will ich nicht behaupten, dass alles Neue gut ist. Aber wir sind eben auch nicht konservativ, sondern nehmen neue Ideen an und pushen diese Haltung gezielt unter unseren Mitarbeitern.
 

Wie gelingt es in der Herzmedizin und Chirurgie, am Ball zu bleiben?

Indem man wissenschaftliche Kongresse besucht, Fortbildungen fördert und darauf achtet, bei Neuentwicklungen selbst beteiligt zu sein. Es ist auch eine Frage der Haltung, der Persönlichkeit. Ich vergleiche uns gern mit einer Fußballmannschaft:

Früher hatten viele Fußballspieler einen Bierbauch oder dicke Oberschenkel. Aber so könnte man heute nicht mehr in der Bundesliga spielen, die körperlichen Anforderungen haben sich geändert. Und bei uns im OP haben sich eben die Methoden und die Technik verändert. Sehen Sie, man könnte ja auch sagen: „Die Herzklappe, die wir schon immer verwendet haben, hat sich bewährt, also verwenden wir sie weiter.“ Aber unser Ansatz ist es, langfristig zu denken. Deshalb treiben wir Weiterentwicklungen gezielt voran, besonders in Zusammenarbeit mit der Kardiologie.

Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit den anderen Disziplinen im Herzzentrum?

Sie ist für uns ganz wesentlich. Die Schnittmenge zwischen Herzchirurgie, Kardiologie, Anästhesie und Intensivmedizin wird immer größer, weil wir es immer mehr mit betagten Patienten und komplexen Krankheitsbildern zu tun haben. Und in dieser Schnittmenge, da sind wir wirklich stark.

Es ist in der Herzmedizin heute sehr wichtig geworden, dass die einzelnen Fachbereiche eng zusammenarbeiten.

 

„Teamarbeit im Herzzentrum“

Alle Behandlungsmöglichkeiten werden ausführlich abgewägt. Komplexe Eingriffe werden von eingespielten Spezialistenteams durchgeführt. Patienten und Angehörige erfahren Wichtiges schnell und direkt vom zuständigen Experten.
 

Ihr Ansprechpartner

Prof. Dr. med. Ralf Sodian

Prof. Dr. med. Ralf Sodian

Chefarzt der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie

MEDICLIN Herzzentrum Lahr